Körperdysmorphe Symptome bei Iraner*innen


Menschen, die unter einer körperdysmorphen Störung (KDS) leiden, beschäftigen sich anhaltend mit einem oder mehreren subjektiv wahrgenommenen Makeln in Bezug auf ihr äußeres Erscheinungsbild. Erkrankte haben häufig ein ausgeprägtes Interesse daran, die wahrgenommenen Makel zu kaschieren oder zu verändern. In kosmetischen Settings sind daher deutlich erhöhte KDS-Prävalenzraten zu beobachten. Trotz der Popularität kosmetischer Eingriffe bei KDS-Erkrankten, werden diese als Behandlung nicht empfohlen, da mit negativ wahrgenommen Ergebnissen (Outcomes) zu rechnen ist. Betroffene sind meist unzufrieden mit den Resultaten und nehmen in Folge häufig weitere Eingriffe in Anspruch. Neuere Forschungsbefunde deuten jedoch darauf hin, dass einige Patient*innen durchaus von kosmetischen Eingriffen profitieren könnten. Bisher ist jedoch unklar, welche Einflussfaktoren eine Rolle spielen.

In einigen Ländern und Kulturkreisen, wie dem Iran, ist eine besonders hohe Nachfrage nach kosmetischen Eingriffen zu beobachten. Da multiple kosmetische Eingriffe ein Indikator für eine KDS sein können, stellt sich die Frage, ob die große Popularität kosmetischer Eingriffe bei Iraner*innen ein Hinweis auf erhöhte Prävalenzraten der Störung in dieser Bevölkerungsgruppe sein könnte. Diesbezüglich bestehen derzeit große Forschungslücken, die insbesondere im Hinblick auf eine kultursensitive Therapiegestaltung eine Herausforderung darstellen.

Aus diesem Grund wurde im Rahmen einer Masterarbeit ein korrelatives Querschnittsdesign in Form einer Online-Umfrage konzipiert, in dem 101 Iraner*innen (72 weiblich, 29 männlich im Alter von 16 bis 70 Jahren (M = 39.6 Jahre, SD = 13.7 Jahre)) hinsichtlich körperdysmorpher (FKS, Fragebogen körperdysmorpher Symptome)) und depressiver Symptome (PHQ-9, Patient Health Questionnaire)) gescreent wurden. Darüber hinaus erfolgte die Erhebung des globalen Selbstwertes (RSES, Rosenberg Self-Esteem Scale) sowie eine detaillierte Erfassung der Inanspruchnahme kosmetischer Eingriffe und ihrer Outcomes. Hierbei wurde der Wunsch nach kosmetischen Eigriffen, Art und Anzahl erfolgter Eingriffe, Zufriedenheit mit den Resultaten und Planung weiterer Eingriffe berücksichtigt.

Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Iraner*innen häufig körperdysmorphe Sorgen aufweisen (27 %), was auf erhöhte KDS-Prävalenzraten hindeuten könnte. Darüber hinaus hängen KDS-Symptome bei Iraner*innen mit depressiven Symptomen (r = .52, p <.001) und einem niedrigen Selbstwert (r = -.47, p <.001) zusammen. Der t-Test für unabhängige Stichproben ergab, dass Iraner*innen mit kosmetischen Eingriffen oder dem Wunsch danach eine signifikant höhere Symptombelastung aufwiesen (M = 13.27, SD = 8.70) als Iraner*innen ohne Eingriffe oder Wunsch danach (M = 7.53, SD = 7.66); t(99) = 3.53, p <.001, d = .70 (siehe Abbildung 1). Abweichend von der internationalen Literatur zeigte sich, dass Iraner*innen unabhängig von der Symptombelastung überwiegend zufrieden mit den Resultaten ihrer Eingriffe zu sein scheinen. Trotz Zufriedenheit mit den Eingriffen, tendierten Iraner*innen mit hoher Symptombelastung zu multiplen Eingriffen (r = .57, p = .002). Dieser Zusammenhang wurde jedoch nicht von depressiven Symptomen (ab = .01, 95 % KI [.00, .02]) oder dem Selbstwert (ab = .07, 95 % KI [-.01, .03]) mediiert.

Abbildung 1: FKS-Gesamtsummenwerte (Fragebogen körperdysmorpher Symptome) Mittelwerte mit 95 % KI) in Abhängigkeit der Inanspruchnahme kosmetischer Eingriffe

Da bei Iraner*innen womöglich mit höheren KDS-Prävalenzen zu rechnen ist als bei Menschen anderer Ethnien, sind weiterführende Studien mit repräsentativen iranischen Stichproben zu empfehlen, um genaue Prävalenzraten zu ermitteln und die mögliche Vulnerabilität zur Entwicklung einer KDS bei Iraner*innen zu überprüfen. Da eine erhöhte KDS-Prävalenz auch bei Iraner*innen mit kosmetischen Eingriffen oder dem Wunsch danach zu erwarten ist, sollte die Popularität kosmetischer Eingriffe bei iranischen Patient*innen nicht als rein kulturelles Phänomen interpretiert werden, sondern eine mögliche KDS im klinischen Setting diagnostisch abgeklärt werden. Zudem sollten Kliniker*innen nach erfolgten Eingriffen die Zufriedenheit ihrer iranischen Patient*innen nicht zwangsläufig als Hinweis auf eine Symptomreduktion interpretieren. Iraner*innen scheinen trotz hoher Symptombelastung mit den Resultaten ihrer Eingriffe überwiegend zufrieden zu sein. Um diese Beobachtungen zu überprüfen, sind jedoch weiterführende Forschungsarbeiten notwendig. Da auch zufriedene Iraner*innen zu multiplen Eingriffen neigen, sollte zudem geprüft werden, ob es möglicherweise zu einer Verlagerung körperdysmorpher Sorgen auf andere Körperteile kommt. Auch wenn in der vorliegenden Studie keine komplexere Abhängigkeitsstruktur zwischen KDS-Symptomen, ihren Korrelaten und Outcomes kosmetischer Eingriffe identifiziert werden konnte, könnte es sinnvoll sein, dies in größeren kosmetischen Stichproben und ggf. mit anderen Korrelaten der KDS erneut zu überprüfen. Dies könnte dabei helfen, Patient*innengruppen zu identifizieren, die möglicherweise von kosmetischen Eingriffen profitieren und therapeutische Interventionen entsprechend anzupassen. Insgesamt sind kulturvergleichende Studien notwendig, um psychologische Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Iraner*innen und Menschen anderer Ethnien tatsächlich aufdecken zu können und Handlungsempfehlungen für die klinische Arbeit abzuleiten.

Quelle: Aragi, A. (2023). Körperdysmorphe Symptome in einer iranischen Stichprobe – Eine Studie zum Zusammenhang mit kosmetischen Eingriffen, depressiven Symptomen und dem globalen Selbstwert sowie zur Validierung des persischen FKS. Technische Universität Braunschweig. Unveröffentlichte Masterarbeit.