Gedanken, Befürchtungen und Gefühle von Psychotherapeut*innen in Ausbildung bezüglich Suizidalität bei ihren Patient*innen.


Die meisten Personen in der psychosozialen Versorgung sind irgendwann im Verlauf ihrer beruflichen Laufbahn mit suizidalen Patient*innen konfrontiert. Schaut man sich den Begriff Suizidalität genauer an, stellt man fest, dass dieser nicht einheitlich definiert ist (Teismann & Dorrmann, 2014). Suizidalität kann auf einem Spektrum betrachtet werden, das von passiven Suizidgedanken bis hin zum Suizid reicht. Aus suizidalen Gedanken folgt nicht zwangsläufig eine Suizidhandlung und nur ein geringer Personenanteil mit Suizidgedanken stirbt auch an einem Suizid (Teismann et al., 2021). Dennoch starben im Jahr 2021 nach Zahlen des Statistisches Bundesamtes 9.215 Personen durch einen Suizid. Personen, die von suizidalen Gedanken betroffen sind, finden unter anderem Hilfe bei psychiatrischen Kliniken oder Psychotherapeut*innen verschiedenster Fachrichtungen.

Aufgrund der Letalität, die mit einer suizidalen Symptomatik einhergeht, berichten sowohl approbierte Psychotherapeut*innen als auch Psychotherapeut*innen in Ausbildung (PiA) von Ängsten im Zusammenhang mit dem Thema. Daraus kann ein Versorgungsdefizit dieser besonders gefährdeten Patient*innengruppe entstehen, wenn sich Psychotherapeut*innen aufgrund dieser Befürchtungen (bewusst oder unbewusst) dagegen entscheiden, diese Patient*innen aufzunehmen. Zudem sind gerade zu Beginn der beruflichen Laufbahn als Psychotherapeut*in Ängste im Zusammenhang mit dem Thema Suizidalität besonders hoch (Conrad et al., 2021).

Aus Supervisionen ist bekannt, dass dieses Thema auch Ängste bei den PiAs des Ausbildungsinstituts der Technischen Universität Braunschweig (TU BS) auslöst. Um dem eben beschriebenen Risiko entgegenzuwirken, ist es wichtig, sich mit diesen Ängsten auseinanderzusetzen. Daher wurden im Rahmen einer Abschlussarbeit acht PiAs mithilfe eines strukturierten Interviews zu diesem Thema befragt. Anschließend wurde diese Interviews mit einer systematischen Inhaltsanalyse ausgewertet, um herauszufinden, inwiefern sich die befragten PiAs in ihren Gedanken, Gefühlen und Befürchtungen bzgl. dem Thema Suizidalität bei ihren Patient*innen ähnelten oder unterschieden. Zudem wurden Faktoren ermittelt, die den PiAs den Umgang mit dem Thema Suizidalität erschweren und erleichtern.

Es stellte sich heraus, dass fast alle PiAs die Befürchtung hatten, einen Fehler zu machen oder eine Fehleinschätzung bei suizidalen Patient*innen zu treffen. Die weiteren geäußerten Befürchtungen waren sehr individuell. In Bezug auf die Patient*innen hatten einige der befragten PiAs die Befürchtung, dass ein*e Patient*in mit Suizidgedanken einen Suizid begeht. Vereinzelt wurde die Befürchtung geäußert, sich im Falle eines Suizides schuldig zu machen oder durch Angehörige angeschuldigt zu werden. Das am häufigsten genannte Gefühl im Zusammenhang mit dem Thema Suizidalität war Angst. Auch Wut, Trauer und Schuld waren Gefühle, die mehrfach von den PiAs genannt wurden.

Insbesondere Unerfahrenheit und die geringe Berufserfahrung der PiAs wurden häufig als erschwerende Faktoren genannt. Auch Faktoren, aus dem beruflichen Umfeld der PiAs wurden häufig genannt. Darunter fielen Kontextfaktoren wie Zeitdruck oder das Verhalten von Kolleg*innen, bspw. wenn es zu unterschiedlichen Einschätzungen der Suizidalität kommt. Auch als erschwerend wurde genannt, dass Suizidalität häufig ein tabuisiertes und stigmatisiertes Thema ist.

Ein zuversichtliches Ergebnis war, dass insgesamt deutlich mehr erleichternde Faktoren im Vergleich zu erschwerenden Faktoren genannt wurden. Alle PiAs nannten Unterstützung durch Kolleg*innen, Freund*innen oder ihre Familie als erleichternde Faktoren im Umgang mit Suizidalität. Ein weiterer wichtiger Faktor betraf die eigene Psychohygiene: Freizeitausgleich zum Umgang mit dem Thema Suizidalität und Selbstführsorge im Falle eines Suizides wurden als wichtige erleichterndes Faktoren genannt. Besonders kognitive Faktoren zeigten sich als wichtige Schutzfaktoren für den Umgang mit dem Thema Suizidalität. So wurden unterschiedlichste schützende Kognitionen (Bsp.: „Es gehört zum Berufsleben dazu“; „Ich bin deswegen keine schlechte Therapeutin“) und Grundeinstellungen (Bsp.: „Ich kann meine Patient*innen nicht immer kontrollieren oder bestimmen, was sie machen. Und da kann ich denen das an die Hand geben, wie sie es schaffen können. Aber letztendlich ist es deren eigene Entscheidungen.“) genannt.

Es wurde berichtet, dass ein häufiger Kontakt zu den suizidalen Personen die Angst im Umgang mit dem Thema reduzierte. Auch wenn tatsächlich ein Suizid eines*r Patient*in miterlebt wurde, wurde davon berichtet, dass dieser Sorgen und Ängste reduziert und nicht verstärkt habe. Dies wurde damit begründet, dass man dadurch erfahren hat, wie das persönliche und berufliche Umfeld sowie man selbst (insb. emotional) auf einen Suizid reagiert. Dadurch erlange man mehr Kontrolle und sei besser vorbereitet.

Die Ergebnisse machen deutlich, wie wichtig es ist, dass PiAs in ihren Ressourcen im Hinblick auf das Thema Suizidalität gestärkt werden. Ein offener Diskurs über Befürchtungen und Ängste bei dem Thema kann zum Abbau dieser beitragen und das Thema Suizidalität weiter enttabuisieren.

Quellen:

Landgraf, A. (2023). Gedanken, Befürchtungen und Gefühle von Psychotherapeut*innen in Ausbildung bezüglich Suizidalität bei ihren Patient*innen. Eine qualitative Befragung. (Masterarbeit, Technische Universität Braunschweig).

Conrad, K., Teismann, T., Rath, D. & Forkmann, T. (2021). Ängste im Umgang mit suizidalen Patient/innen: Eine vergleichende Untersuchung von approbierten Psychotherapeut/innen und Psychotherapeut/innen in Ausbildung. Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie, 71(1), 9–17. https://doi.org/10.1055/a-1153-9187

Statistisches Bundesamt. (2023). Todesursachen: Im Jahr 2021 starben in Deutschland insgesamt 9.215 Personen durch Suizid. https://www.destatis.de/DE/Themen/ Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen /suizid.html

Teismann, T. & Dorrmann, W. (2014). Suizidalität. Fortschritte der Psychotherapie: Bd. 54. Hogrefe.

Teismann, T., Forkmann, T. & Glaesmer, H. (Hrsg.). (2021). Suizidales Erleben und Verhalten: Ein Handbuch (1. Auflage). Psychiatrie Verlag.