Interdisziplinäre Versorgung von Arbeitnehmer*innen


Laut Report Psychotherapie 2021 der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung e.V. (DPtV) gehören psychische Störungen inzwischen zu den häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeitstage, lange Ausfallzeiten und vorzeitige Berentungen. Trotz ihrer großen Verbreitung und ihren schwerwiegenden Folgen werden psychische Störungen oftmals zu spät erkannt. Dies ist unter anderem der langen Wartezeit auf einen Psychotherapieplatz geschuldet: 2018 mussten Versicherte in Niedersachsen laut einer Studie der Bundespsychotherapeutenkammer durchschnittlich 22.9 Wochen auf einen Therapieplatz warten.

Um die Wartezeit und somit das Risiko einer Chronifizierung oder Verschlechterung der psychischen Symptomatik zu minimieren, wurde 2008 zwischen der BKK Salzgitter, der TUI BKK, der BKK Public, der Salzgitter AG und der Psychotherapieambulanz (PTA) der Technischen Universität Braunschweig das Kooperationsprojekt zur Interdisziplinären Versorgung von Arbeitnehmer*innen initiiert. Dadurch haben erwerbstätige Versicherte der genannten Krankenkassen die Möglichkeit, bei Bedarf zeitnah an einer Diagnostischen Beratung (DB) in der PTA teilzunehmen. Im Jahr 2021 betrug die durchschnittliche Wartezeit zwischen der Anmeldung zur DB und dem ersten Termin knapp 2 Wochen (M = 13.95 Tage, SD = 9.32 Tage).

Die DB umfasst zwei Termine mit einem*einer Psychologischen Psychotherapeut*in (ggf. Psycholog*in in fortgeschrittener Ausbildung) der PTA. Beim ersten Termin erfolgt ein ausführliches Erstgespräch inkl. des Einsatzes verschiedener testpsychologischer Instrumente. Beim zweiten Termin werden die Ergebnisse der Tests, die Indikation für eine Psychotherapie sowie ggf. gestellte Diagnosen besprochen und erste psychoedukative Interventionen durchgeführt. Zudem wird der*die Versicherte ausführlich über mögliche Hilfsangebote informiert. Im Falle der Feststellung einer Indikation für eine ambulante Psychotherapie erhält der*die Versicherte zudem das Angebot, innerhalb von 15 Werktagen einen Therapieplatz in der PTA zu erhalten.

Im Jahr 2021 haben sich insgesamt 93 Versicherte für eine DB angemeldet. Hierbei ist im Vergleich zum Vorjahr (82 Anmeldungen) wieder ein leichter Anstieg zu beobachten, nachdem sich die Anzahl der Anmeldungen in 2020, mutmaßlich aufgrund der Beschränkungen und Unsicherheiten im Rahmen der beginnenden Corona-Pandemie, leicht rückgängig zeigte. Von den in 2021 erfolgten Anmeldungen nahmen 85 Personen (91.4 %) das Angebot zur DB wahr. Dabei wurde bei 81 Personen (95. 3%) eine Indikation für eine ambulante Psychotherapie festgestellt, welche ausnahmslos das Angebot der anschließenden ambulanten Verhaltenstherapie in unserem Haus annahmen.

Zur Beurteilung der Symptomreduktion im Therapieverlauf kann die Effektstärke (ES; Cohen’s d) anhand von drei Fragebögen ermittelt werden. Diese wurden von den Patient*innen jeweils bei Therapiebeginn (Prä), bei Therapieende (Post) sowie 1 Jahr nach Therapieende (FU) ausgefüllt. In die Analyse wurden alle seit 2008 abgeschlossenen Behandlungen einbezogen, sofern die erforderlichen Daten vollständig vorlagen. Dabei zeigt sich, dass sich die Depressivität im Mittel deutlich reduzierte (BDI: d = 0.99; BDI-II: d = 1.25). Zudem ging die Symptombelastung zurück (GSI der SCL-90-R:  d =0.79), während sich die Lebenszufriedenheit leicht erhöhte (FLZ: d = 0.43). Besonders erfreulich ist, dass die erreichten Erfolge ein Jahr nach Abschluss der Behandlung nicht nur aufrechterhalten, sondern teilweise sogar noch vergrößert werden konnten. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Behandlungen im Projekt der Interdisziplinären Versorgung nachweisbar und langfristig mit einer Symptomreduktion und einer Verbesserung der Lebenszufriedenheit einhergehen.

Therapiebeginn Therapieende ES
Instrument n M (Prä) SD (Prä) M (Post) SD (Post)
BDI 220 20.28 9.50 10.24 8.77 0.99
BDI-II 283 26.13 10.29 10.99 9.79 1.25
SCL-90-R 487 1.17 0.70 0.59 0.56 0.79
FLZ 425 215.15 40.87 252.55 85.38 0.43
Therapiebeginn 1 Jahr nach Therapieende ES
Instrument n M (Prä) SD (Prä) M (FU) SD (FU)
BDI 128 20.00 10.16 9.83 8.56 1.06
BDI-II 115 25.50 10.26 13.60 10.97 0.95
SCL-90-R 242 1.17 0.61 0.63 0.58 0.90
FLZ 196 217.45 39.03 243.29 43.28 0.69

n = einbezogene Fälle

M = Mittelwert

SD = Standardabweichung

d = Effektstärke (Cohens’s d)

¹0,2 < d ≤ 0,5: kleiner Effekt; 0,5 < d ≤ 0,8: mittlerer Effekt; 0,8 < d: großer Effekt.