Jahresrückblick 2023 bei der Interdisziplinären Versorgung von Arbeitnehmenden mit psychischen Beschwerden und Beeinträchtigungen


Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags meldet in der deutschen Bevölkerung eine Zunahme psychischer Störungen seit Beginn der Corona-Pandemie. Auch die Häufigkeit und Dauer von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (Krankschreibungen) aufgrund von psychischen Erkrankungen steigen stetig an: Psychische Störungen gehören aktuell zu den zweithäufigsten Gründen für eine Arbeitsunfähigkeit und die Fehlzeiten sind mit durchschnittlich fast 30 Tagen recht lang (Fehlzeitenreport 2023).

Das Problem ist jedoch, dass psychische Störungen oftmals erst spät erkannt und behandelt werden, u.a. wegen langer Wartezeit auf einen Psychotherapieplatz. In Niedersachsen müssen laut Bundespsychotherapeutenkammer Betroffene durchschnittlich 22,9 Wochen auf einen Therapieplatz warten.

Um die Wartezeit und somit das Risiko einer Chronifizierung oder Verschlechterung zu minimieren, wurde 2008 zwischen der BKK Salzgitter, der BKK Public, der TUI BKK sowie der Psychotherapieambulanz (PTA) der TU Braunschweig in Kooperation mit der Salzgitter AG das Projekt zur Interdisziplinären Versorgung von Arbeitnehmenden initiiert. Dadurch haben erwerbstätige Versicherte der genannten Krankenkassen die Möglichkeit, bei Bedarf zeitnah an einer Diagnostischen Beratung (DB) in der PTA teilzunehmen. Im Jahr 2023 betrug die durchschnittliche Wartezeit zwischen der Anmeldung zur DB und dem ersten Termin weniger als einen Monat (M = 25,03 Tage, SD = 11,97 Tage).

Die DB umfasst zwei Termine mit einem*einer Psychologischen Psychotherapeut*in (ggf. Psycholog*in in fortgeschrittener Ausbildung) der PTA. Wenn eine Indikation für eine ambulante Psychotherapie vorliegt, wird den Versicherten angeboten, innerhalb von 15 Werktagen einen Therapieplatz in der PTA zu erhalten.

Im Jahr 2023 haben sich insgesamt 99 Versicherte für eine DB angemeldet, wovon 96 Personen (97%) das Angebot zur DB wahrnahmen. Dabei wurde bei 87 Personen (91%) eine Indikation für eine ambulante Psychotherapie festgestellt, 84 Personen (97%) nahmen dann auch das Angebot der anschließenden ambulanten Verhaltenstherapie in unserem Haus an.

Die häufigsten Hauptdiagnosen nach Abschluss der DB waren im Jahr 2023 depressive Störungen (47%) und Angststörungen (20%). Dies deckt sich mit den Prävalenzraten psychischer Störungen in der deutschen Allgemeinbevölkerung: Auch hier sind die häufigsten psychischen Störungen die Angststörungen (15,4%) sowie affektive Störungen (beinhaltet u.a. depressive Störungen; 9,8%). Andere gestellte Hauptdiagnosen sind im nachfolgenden Diagramm ersichtlich.  


Zur Beurteilung der Symptomreduktion im Therapieverlauf kann die Effektstärke (Cohen’s d) anhand von drei Fragebögen ermittelt werden. Diese wurden von den Patient*innen jeweils bei Therapiebeginn (Prä), bei Therapieende (Post) sowie 1 Jahr nach Therapieende (FU) ausgefüllt. In die Analyse wurden alle seit 2008 abgeschlossenen Behandlungen einbezogen, sofern die erforderlichen Daten vollständig vorlagen. Dabei zeigt sich, dass sich die Depressivität zu Therapieende im Mittel deutlich reduzierte (BDI-2: d = 1.22). Zudem ging die Symptombelastung zurück (GSI der SCL-90-R:  d = 0.92), während sich die Lebenszufriedenheit leicht erhöhte (FLZ: d = 0.77). Besonders erfreulich ist, dass die erreichten Erfolge auch noch ein Jahr nach Abschluss der Behandlung weitestgehend aufrechterhalten werden konnten. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Behandlungen im Projekt der Interdisziplinären Versorgung nachweisbar und langfristig mit einer Symptomreduktion und einer Verbesserung der Lebenszufriedenheit einhergehen können.

Therapiebeginn Therapieende ES
Instrument n M (Prä) SD (Prä) M (Post) SD (Post)
BDI-2 382 26.19 10.34 11.62 10.19 1.22
SCL-90-R 601 1.17 0.60 0.59 0.54 0.92
FLZ 501 214.72 39.58 244.51 42.70 0.77
Therapiebeginn 1 Jahr nach Therapieende ES
Instrument n M (Prä) SD (Prä) M (FU) SD (FU)
BDI-2 182 25.35 10.34 13.26 10.66 0.96
SCL-90-R 304 1.17 0.62 0.63 0.58 0.92
FLZ 257 217.07 38.12 240.81 46.03 0.65

n = einbezogene Fälle

M = Mittelwert

SD = Standardabweichung

d = Effektstärke (Cohens’s d)

¹0,2 < d ≤ 0,5: kleiner Effekt; 0,5 < d ≤ 0,8: mittlerer Effekt; 0,8 < d: großer Effekt.