Projekt zur Interdisziplinären Versorgung von Arbeitnehmer*innen mit psychischen Beschwerden und Beeinträchtigungen


Validität der Diagnosen in der Diagnostischen Beratung

In der Psychotherapieambulanz (PTA) wird im Rahmen des Projekts zur Interdisziplinären Versorgung von Arbeitnehmer*innen mit psychischen Beschwerden und Beeinträchtigungen die Diagnostische Beratung angeboten. Ziel dieser Beratung ist eine niedrigschwellige Abklärung des Vorliegens einer psychischen Störung mit anschließender Indikationsstellung. Dabei fiel jedoch auf, dass diese anfänglich gestellten Diagnosen teilweise von den später im Rahmen der ausführlichen Diagnostik (Probatorik) gestellten Diagnosen abwichen.

Da Fehldiagnosen nicht nur zu fehlerhaften Therapieplanungen führen können, sondern auch zu weiteren Stigmata, denen sich Patient*innen in der Gesellschaft stellen müssen, ist die Gewährleistung möglichst valider (d.h. gültiger) Diagnosen von höchster Relevanz. Ziel dieser Studie war es entsprechend, die Validität der nach Abschluss der Diagnostischen Beratung gestellten Diagnosen zu überprüfen. Einbezogen in die Untersuchung wurden Patient*innen, die im Zeitraum von Januar 2015 bis April 2022 zu der Diagnostischen Beratung sowie der anschließenden Probatorik erschienen sind. Für die Entnahme der Daten wurde jeweils die Patient*innendokumentation der PTA herangezogen.

Die Stichprobe belief sich insgesamt auf N = 381. Das Alter der Patient*innen lag zwischen 18 und 81 Jahren (M = 40.61 Jahre, SD = 12.24 Jahre). 51% der Patient*innen gaben das männliche, 49% das weibliche Geschlecht an. Hinsichtlich der schulischen Ausbildung war der Realschulabschluss mit 45% am häufigsten vertreten. Mit 23% folgte der Hauptschulabschluss und mit 20% das (Fach-)Abitur. 3% der Patient*innen gaben an, (noch) keinen Schulabschluss zu haben.

Die Übereinstimmung zwischen den nach Abschluss der Diagnostischen Beratung sowie nach Abschluss der Probatorik gestellten Diagnosen wurde zunächst störungsübergreifend überprüft. Dabei galten die Diagnosen als übereinstimmend, wenn sie zu derselben Störungskategorie gehörten (z.B. zu den depressiven Störungen). Darüber hinaus wurde überprüft, ob sich die die diagnostische Validität zwischen den vier am häufigsten diagnostizierten Störungskategorien unterschied. Dazu wurden, zusätzlich zur Übereinstimmung der Diagnosen, Sensitivität (Richtig-Positiv-Rate), Spezifität (Richtig-Negativ-Rate) sowie der Vorhersagewert mittels Odds Ratio (Chancenverhältnis) bestimmt. Schließlich wurde untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen der diagnostischen Validität und dem Bildungsniveau der Patient*innen gab.

Die störungsübergreifende Übereinstimmung zwischen den Diagnosen fiel mit 82% beachtlich aus. Das Übereinstimmungsmaß Cohens Kappa betrug ĸ = .74. Auch innerhalb der vier verschiedenen Störungskategorien waren jeweils beachtliche Übereinstimmungen zu finden, womit keine nennenswerten Unterschiede zu verzeichnen sind (siehe Tabelle). Ebenso zeigten sich keine bedeutsamen Unterschiede hinsichtlich der Vorhersagewerte und der Sensitivitäten (siehe Tabelle). Lediglich die Spezifität fiel bei den Depressiven Störungen etwas geringer aus (siehe Tabelle). Weiterhin waren keine Hinweise feststellbar, die für einen Zusammenhang zwischen der diagnostischen Validität und dem Bildungsniveau der Patient*innen sprechen. Das Zusammenhangsmaß Kendalls Tau betrug τ = -.02 (p = .66).

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die Diagnostische Beratung in der PTA, unabhängig von der diagnostizierten Störung und dem Bildungsniveau der Patient*innen, sehr valide Diagnosen liefert. Damit ist das Ziel einer niedrigschwelligen diagnostischen Abklärung und Indikationsstellung erfüllt. Da trotzdem bei immerhin fast jeder fünften Person eine Diagnose gestellt wurde, die von der späteren probatorisch gestellten Diagnose abwich, ist auf die ausführliche Diagnostik im Rahmen der Probatorik nicht zu verzichten, um die Validität der Diagnosen sowie eine akkurate Therapieplanung sicherstellen zu können.

Störungskategorie ĸ Sensitivität (95% KI) Spezifität (95% KI) OR (95% KI)
Depressive Störungen .75 90%
(85% – 93%)
85%
(79% – 90%)
50.55
(27.35 – 93.42)
Agoraphobie/ Panikstörung .74 79%
(60% – 91%)
98%
(96% – 99%)
190.00
(55.15 – 654.62)
Soziale/ Spezifische Phobien .71 80%
(55% – 93%)
98%
(97% – 99%)
240.00
(53.52 – 1076.15)
Belastungs-/ Anpassungsstörungen .80 85%
(72% – 93%)
97%
(95% – 98%)
185.15
(66.75 – 513.51)

ĸ = Cohens Kappa (ĸ < .00: schlechte Übereinstimmung, ĸ = .41 – .60: mittelmäßige Übereinstimmung, ĸ = .00 – .20: geringe Übereinstimmung, ĸ = .61 – .80: beachtliche Übereinstimmung, ĸ = .21 – .40: ausreichende Übereinstimmung, ĸ = .81 – 1.00: (fast) perfekte Übereinstimmung); OR = Odds Ratio; KI = Konfidenzintervall

Quelle: Meßner, M. (2022). Projekt zur Interdisziplinären Versorgung von Arbeitnehmer*innen mit psychischen Beschwerden und Beeinträchtigungen: Validität der Diagnosen in der Diagnostischen Beratung. Technische Universität Braunschweig. Unveröffentlichte Bachelorarbeit.