Evaluation von Therapieverläufen depressiver Patient*innen


Therapieverlaufscluster und der Effekt plötzlicher Symptomverbesserungen und -verschlechterungen

Die kognitive Verhaltenstherapie ist eines der meistverbreiteten Therapieverfahren für depressive Störungen, deren Wirksamkeit vielfach nachgewiesen wurde. Der Großteil der einschlägigen Studien fokussiert jedoch den Vergleich der Symptombelastung zwischen Therapiebeginn und -ende, wohingegen nur wenige Studien Symptomveränderungen im Therapieverlauf und deren Auswirkungen auf Therapieerfolg näher betrachten. Es ist jedoch wissenschaftlich belegt, dass sich die Symptome im Verlauf depressiver Störungen unstetig und nicht-linear verändern. Ein tieferes Verständnis dieser Veränderungsprozesse und deren Auswirkungen auf die mittelfristige Symptomentwicklung sind jedoch essenziell, um auf spezifische Verläufe entsprechend reagieren zu können und damit die Behandlung und letztlich auch den Therapieerfolg prozessorientiert zu verbessern.

Aufgrund dessen wurden im Rahmen einer Masterarbeit die Therapieverläufe von N = 250 Patient*innen mit depressiven Störungen untersucht, die zwischen 2016 und 2021 eine ambulante Psychotherapie in der PTA in Anspruch genommen haben. Es wurde zum einen geprüft, inwiefern sich typische Verlaufscluster, das heißt Patient*innengruppen mit vergleichbaren Symptomverläufen, beschreiben lassen. Zum anderen wurden die Auswirkungen plötzlicher Symptomverbesserungen (Sudden Gains) und -verschlechterungen (Sudden Losses) auf den weiteren Therapieverlauf untersucht. Dafür wurden Verlaufsdaten eines Screeningfragebogens zu Depressivität (PHQ-9) verwendet, welchen die Patient*innen der PTA zu Beginn jeder Therapiesitzung ausfüllen. Die Symptomveränderung zwischen Therapiebeginn und -ende wurde mit Hilfe eines ausführlichen Fragebogens zur Erfassung von Depressivität (BDI-II) ermittelt.

Aus den Verlaufsdaten ergaben sich zwei Hauptverlaufscluster, in die sich 98.4 % der untersuchten Patient*innen einordnen ließen. Zudem verblieb eine Restgruppe mit n = 4 Patient*innen (Cluster 3), die sich durch sehr inhomogene und schwankende Therapieverläufe, lange Therapiedauern und wenig Symptomveränderungen zwischen Therapiebeginn und -ende auszeichnete. Therapien dieser inhomogenen Restgruppe wurden als Ausreißer betrachtet und von weiteren Analysen ausgeschlossen.  Cluster 1 umfasst 82.8 % der untersuchten Patient*innen und bildet damit das größte Verlaufscluster. Patient*innen von Cluster 1 weisen eine mittelschwer ausgeprägte Depressivität zu Therapiebeginn sowie, verglichen mit Patient*innen von Cluster 2, eine stärkere Symptomreduktion zwischen Therapiebeginn und -ende auf. Zudem ist die durchschnittliche Therapiedauer in Cluster 1 kürzer als in Cluster 2. Cluster 2 hingegen zeichnet sich durch eine hohe Symptombelastung und eine höhere Wahrscheinlichkeit komorbider Störungen zu Therapiebeginn aus. Obwohl auch Patient*innen dieses Clusters durchschnittlich eine Symptomverbesserung zwischen Therapiebeginn und -ende aufzeigen, so ist diese signifikant geringer ausgeprägt als in Cluster 1 (s. Tabelle 1).

Cluster 1 (n=207; 82.8%) Cluster 2 (n= 39; 15.6%)
Anzahl durchgeführter Sitzungen zu Therapieende M (SD) 35.6 (16.1) 52.4 (18.5)
Anzahl komorbider Störungen zu Therapiebeginn M (SD) 0.6 (0.8) 1.3 (1.1)
Symptombelastung zu Therapiebeginn
(Gesamtwert des BDI-II)
M (SD) 27.0 (10.3) 35.5 (9.2)
Symptombelastung zu Therapieende
(Gesamtwert des BDI-II)
M (SD) 10.9 (9.1) 28.9 (12.5)
Symptomreduktion anhand des Gesamtwertes des BDI-II zwischen Therapiebeginn und -ende M (SD) 16.1 (11.9) 6.5 (11.0)

Tabelle 1. Merkmale der beiden ermittelten Therapieverlaufscluster depressiver Patient*innen

Die nähere Betrachtung plötzlicher Symptomveränderungen im Therapieverlauf zeigte, dass insbesondere plötzliche Verschlechterungen mit einer geringeren Symptomverbesserung im Gesamtverlauf und einer längeren Therapiedauer einhergingen. Dies verdeutlicht die große Bedeutung plötzlicher, sprunghafter Symptomverschlechterungen für teilweise unbefriedigende Therapieergebnisse und lange Therapiedauern.

Durch die beschriebene Studie konnten wichtige Faktoren (z.B. plötzliche Symptomverschlechterungen, komorbide Störungen, hohe Symptombelastung zu Therapiebeginn) identifiziert werden, die den Therapieerfolg beeinträchtigen können. Diese Faktoren bedürfen folglich besonderer Aufmerksamkeit bei der therapeutischen Interventions- und Beziehungsgestaltung.

Abbildung: Darstellung der optimal angepassten Symptomverläufe in den ermittelten Therapieverlaufsclustern

Quelle: Vorvolakou, K. (2021). Evaluation von Therapieverläufen: Sudden Gains, Sudden Losses und Therapieverlaufscluster bei ambulanten PatientInnen mit Depression. Technische Universität Braunschweig: Unveröffentlichte Masterarbeit.